* 38 *

38. Projektionen

 

Lucy

Lautlos wie eine Schlange kroch Septimus, sich mit den Ellbogen vorwärtsschiebend, den sandigen Hang zwischen den Dünen hinunter. Im fahlen Licht des aufgehenden Mondes nahm sein Haar die Farbe des Sandes und sein Umhang das matte Grün des Grases darüber an – und doch waren seine Bewegungen nicht unbemerkt geblieben.

Im dunklen Unterstand war Beetle plötzlich aufgewacht und lauschte angestrengt – da stimmte etwas nicht. Er schlüpfte vorsichtig unter seinem Wärmemantel hervor, stand auf und fuhr sich unwillkürlich durch die Haare. Er bereute es sofort – an seiner Hand klebte jetzt ein Gemisch aus Haaröl und Sand. In gebückter Haltung, denn der Unterstand war so niedrig, dass er nicht aufrecht stehen konnte, spähte er durch den schmalen Spalt im Eingang. Zu seinem Entsetzen sah er, wie Septimus langsam zum Strand hinunterrobbte. Er zwängte sich ins Freie und löste dabei einen kleinen Sandrutsch aus, der nur knapp Jennas Kopf verfehlte.

Jenna schlief weiter und träumte von Nicko und seinem Schiff.

Mehr wie eine Schildkröte als eine Schlange kroch Beetle den Hang hinunter zu Septimus, der jetzt am Fuß des Hangs verharrte und den Strand beobachtete. Sand spritzte auf, als Beetle zu ihm stieß. Septimus fuhr herum und legte einen Finger auf die Lippen.

»Pst ...«

»Was ist los?«, flüsterte Beetle.

Septimus deutete nach links den Strand hinunter. Zwei Gestalten, die sich dunkel vom hellen Schein der Lichtsphäre abhoben, kamen, ihre Stiefel in den Händen, am Wasser entlang. Sie machten einen völlig unbeschwerten Eindruck, wie Septimus etwas neidisch dachte. Als sie näher kamen, erkannte er, dass es sich um einen Jungen und ein Mädchen handelte. Und als sie noch näher kamen, hatte er das äußerst merkwürdige Gefühl, dass er sie kannte.

»Das gibt’s doch nicht«, murmelte er vor sich hin.

»Was gibt es nicht?«, erkundigte sich Beetle leise.

»Die sehen aus wie 409 und Lucy Gringe.«

»409?«

»Du weißt schon, Wolfsjunge.«

Beetle kannte Wolfsjunge nicht, aber Lucy Gringe kannte er sehr wohl, und er fand, dass Septimus recht hatte.

»Aber ... wie kommen die denn hierher?«, flüsterte Beetle.

»Überhaupt nicht«, antwortete Septimus. »Das ist eine Projektion. Die Sirene versucht, mich herauszulocken.«

Beetle war skeptisch. »He, warte mal – woher weiß diese Sirene denn von Lucy und Wolfsjunge?«

»Mein Fehler«, antwortete Septimus. »Ich habe an die beiden gedacht, als ich meinen Gedankenschirm aufgebaut habe.«

Die beiden Gestalten kamen immer näher. Am Rand des Wassers blieben sie stehen und blickten aufs Meer.

»Sie wirken sehr echt«, sagte Beetle zweifelnd. »Ich dachte, eine Projektion von Menschen sei schwierig.«

»Nicht für die Sirene«, erwiderte Septimus. Mit Schaudern dachte er an die Projektion von Beetle, die ihn angefleht hatte zu warten. »Runter, Beetle.«

Septimus drückte seinen Freund nach unten. Die beiden Gestalten hatten sich umgedreht und kamen nun den Strand heraufgestapft, direkt auf sie zu. Beetle und Septimus traten eilends den Rückzug an.

»In den Unterstand«, zischte Septimus.

Ein paar Sekunden später wurde Jenna von einer Sandlawine zugeschüttet.

»Was ...«, stammelte sie, mit einem Schlag hellwach.

»Pst ...«, machte Septimus und deutete nach draußen. Ängstlich stand Jenna auf und spähte hinaus.

Obwohl der Eingang des Verstecks so schmal war, dass nur eine Person gleichzeitig durchpasste, konnten drei Leute gleichzeitig hinaussehen. Und bald beobachteten drei Augenpaare – ein violettes, ein braunes und ein leuchtend grünes –, wie die Gestalten von Wolfsjunge und Lucy Gringe mit schweren Schritten die Schräge zwischen den Dünen erklommen und direkt auf das für sie, wie Septimus hoffte, unsichtbare Versteck zusteuerten.

Nur wenige Schritte vom Eingang entfernt setzten sich die beiden in den Sand. Jenna entfuhr ein erstaunter Laut.

»Pst ...« zischte Septimus, obwohl es eigentlich keine Rolle spielte – Projektionen konnten nicht hören.

»Was machen die denn hier?«, formte Jenna mit den Lippen.

»Sie sind eine Projektion«, antwortete Septimus tonlos.

»Eine was?«

»Eine Projektion.«

Aber sie sind doch echt, entgegnete Jenna mit den Lippen.

Septimus konnte es ihr nachfühlen. Die beiden sahen wirklich sehr echt aus. Ja, sie sahen so naturgetreu aus, dass er das Gefühl hatte, da sitze tatsächlich der echte 409 vor ihm, mit verfilztem Haar, sandigem Umhang und allem. Beinahe hätte er die Hand nach ihm ausgestreckt. Er hielt sich gerade noch zurück, indem er sich sagte, dass dies nur wieder ein Trick der Sirene war – sie wartete bloß darauf, dass er sich zeigte. Sie hatte ihre Projektionen losgeschickt wie Terrier, die ein Kaninchen aus seinem Bau treiben sollen, aber er dachte gar nicht daran, seinen Bau zu verlassen, ehe sie fort waren.

Plötzlich begann eine der Projektionen zu sprechen.

»Hast du eben nicht auch etwas gehört?«, sagte sie, an ihren Zöpfen herumfummelnd.

»Sie sprechen«, flüsterte Beetle. »Projektionen tun das nicht.«

»Die der Sirene schon«, gab Septimus zurück. »Hab ich dir doch erzählt.«

Die Projektion mit den Zöpfen wurde nervös. »Da war es wieder, das Geräusch.«

»Ist schon in Ordnung«, sagte die Projektion mit den Filzlocken. »Wahrscheinlich Sandschlangen oder so was.«

Die Projektion mit den Zöpfen schnellte in die Höhe. »Schlangen?«, kreischte sie. »Schlangen ... iiiiih!« Sie begann herumzuhüpfen und wild ihren Rock zu schütteln. Ein Sandregen ergoss sich in den Unterstand.

»Sep, das ist Lucy Gringe ... ganz sicher«, zischte Beetle und rieb sich den Sand aus den Augen.

»Nein, ist sie nicht.« Septimus blieb unerschütterlich.

»Igitt!«, schrie die Projektion mit den Zöpfen. »Ich hasse Schlangen! Und wie ich sie hasse!«

»Sei nicht albern, Sep«, sagte Jenna. »Natürlich ist sie es. Niemand anders schreit so.«

Jetzt sprang auch die Projektion mit den Filzlocken auf. »Pst, Lucy. Pst! Jemand könnte uns hören.«

»Jemand hat euch gehört.« Jennas körperlose Stimme drang aus dem Versteck.

Die Projektionen klammerten sich aneinander. »Was hast du gesagt?«, fragte die Projektion mit den Zöpfen die Projektion mit den Filzlocken.

»Ich?« Die Projektion mit den Filzlocken klang beleidigt. »Ich habe nichts gesagt. Das war ein Mädchen. Es klang nach ... Ja, für mich klang das sehr nach Jenna Heap.«

»Prinzessin Jenna? Red keinen Blödsinn«, blaffte die Projektion mit den Zöpfen. »Das kann nicht sein.«

»Und ob das sein kann«, sagte Jenna und tauchte, wie es aussah, aus dem Innern einer Sanddüne auf.

Die Projektion mit den Zöpfen stieß ein mitleiderregendes Quieken aus.

Jenna schüttelte den Sand aus den Falten ihrer Kleider. »Hallo, Wolfsjunge, Lucy. Schön, euch zu sehen«, sagte sie so gelassen, als seien sie sich soeben bei einem Fest begegnet.

Lucy Gringe klappte den Mund auf. »Lucy, bitte nicht wieder schreien«, flehte Jenna. Lucy Gringe klappte den Mund wieder zu und setzte sich, ausnahmsweise einmal sprachlos.

Septimus zuliebe fragte Jenna: »Ihr seid doch echt, oder?«

»Natürlich bin ich echt«, antwortete Lucy erbost. »Und überhaupt, ich könnte euch dasselbe fragen.«

»Ja, ich bin auch echt«, sagte Jenna und blickte zu Wolfsjunge. »Und du auch, nehme ich an.« Sie grinste.

Wolfsjunge blickte etwas verunsichert. »Das alles ist so sonderbar ...«, murmelte er. Er nickte in Richtung des Verstecks, in dem er jetzt einen vorschriftsmäßigen Unterstand der Jungarmee erkannte. »Ist etwa auch 412 da drin?«, fragte er.

»Natürlich«, antwortete Jenna. »Und Beetle auch. Sep, kommt jetzt raus.«

Septimus erschien. Er wirkte leicht zerknirscht. »Was machst du denn hier, 409?«, fragte er.

»Dasselbe könnte ich dich fragen«, erwiderte Wolfsjunge und sah zu, wie ein sandverkrusteter Beetle aus dem Unterstand kroch. »Wie viele sind denn noch da drin, 412? Eine ganze Armee?«

Beetle, Septimus und Wolfsjunge musterten sich gegenseitig mit Argwohn, als wäre einer in das Revier des anderen eingedrungen.

Jenna übernahm das Kommando. »Kommt. Lasst uns an den Strand gehen und ein Feuer machen. Wir können Bananenbären rösten.«

Lucy blickte überrascht. »Ich habt Bananenbären, hier, in dieser verlassenen Gegend?«, fragte sie.

»Klar«, antwortete Jenna. »Willst du welche?«

»Mir ist alles recht, was nicht nach Fisch schmeckt«, sagte Lucy.

Septimus wollte etwas einwenden, doch Jenna würgte ihn ab. »Hör zu, Sep, wir haben diese Jungarmee-Geschichte jetzt lang genug mitgemacht. Wir sind jetzt zu fünft. Uns wird nichts passieren.«

Septimus wusste nicht, was er sagen sollte. Nach dem Wirbel, den er um die Projektionen gemacht hatte, fühlte er sich beschämt.

»Da liegt noch Treibholz am Strand«, sagte Beetle. »Kommst du, Sep? Und... äh... 419?«

»Vier-null-neun«, verbesserte ihn Wolfsjunge mit einem Lächeln. »Aber du kannst mich Wolfsjunge nennen. Das tun eigentlich alle.«

»Und du kannst mich Beetle nennen«, sagte Beetle und grinste.

Eine halbe Stunde später scharten sie sich um ein prasselndes Feuer und rösteten Bananenbären, nicht ahnend, dass sie aus nicht allzu weiter Ferne von Jakey Fry sehnsuchtsvoll beobachtet wurden.

Jakey saß ganz oben auf dem höchsten Punkt der Sterninsel, jener sternförmigen Insel, die direkt vor dem Zipfel der Hauptinsel lag. Er fror, er hatte Hunger, und er fühlte sich einsam. Das wurde ihm bewusst, als er die Gruppe am Lagerfeuer beobachtete. Er kaute am Kopf eines kleinen getrockneten Fisches, den er in seiner Tasche gefunden hatte, und zitterte. Es wurde immer kälter, aber er wagte nicht, auf die Plünderer zu gehen und sich eine Decke zu holen.

Pflichtbewusst suchte er den Horizont ab. Er war hier heraufgeschickt worden, um das Meer zu beobachten, nicht das Land, doch von Zeit zu Zeit konnte er der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick zu der Gruppe am Strand zu werfen. Sie waren so verlockend nahe, und zudem legte das zurückweichende Meer eine Sandbank frei, die seine Insel mit ihrem Strand verband. Am liebsten wäre er über die Sandbank gelaufen und hätte sich zu ihnen gesellt, aber er rührte sich nicht vom Fleck. Es war nicht nur der Gedanke an seinen Vater und die mordlustigen Crowe-Zwillinge, die einen Steinwurf entfernt auf der Plünderer weilten, der ihn davon abhielt, sondern auch die Angst vor dem alten Geist, der sie bei ihrer Ankunft auf der alten Hafenmauer der Sterninsel erwartet hatte. Dieser Geist mit seinem alten dunkelblauen Gewand und seinen stechenden Ziegenbockaugen hatte etwas an sich, das ihm Angst einjagte. Es war seiner Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass sich sogar sein Vater vor ihm fürchtete, und Jakey hatte noch nie erlebt, dass sich sein Vater vor irgendetwas gefürchtet hätte. Sobald die Nacht angebrochen war, hatte der Geist zu Jakey gesagt: »Geh und halte nach dem Schiff Ausschau, Junge. Ich möchte dein käsiges Gesicht erst wieder sehen, wenn das Schiff zerschellt ist. Und wenn es so weit ist, möchte ich, dass du im selben Moment, wo es auf die Felsen dort aufläuft; wieder hier bist – verstanden?« Und ob Jakey verstanden hatte.

Ohne zu ahnen, dass sie neidisch beobachtet wurde, setzte sich die Gruppe am Strand ums Feuer, und Wolfsjunge und Lucy begannen, ihre Geschichte zu erzählen. Jenna und Beetle lauschten gebannt, aber Septimus wurde das Gefühl nicht los, dass sie in Gefahr schwebten. Er saß etwas abseits von den anderen. Um sein Nachtsichtvermögen zu bewahren, vermied er es, ins Feuer oder in das grelle Licht der Lichtsphäre zu schauen.

»Entspann dich, Sep«, sagte Jenna, als sie bemerkte, dass er zum wiederholten Mal nervös in die Runde blickte. »Alles bestens. Das macht doch einen Riesenspaß.«

Septimus erwiderte nichts. Er wünschte, es würde ihm Spaß machen, aber das tat es nicht. Er musste die ganze Zeit daran denken, wie Syrah mit dem Gesicht nach unten am Fuß der Treppe gelegen hatte. Hatte sie vielleicht Spaß gehabt?

Lucys und Wolfsjunges Geschichte kam in Fahrt, doch Septimus hörte nur mit halbem Ohr zu. Er dachte immer noch an Syrah. Er knabberte ein paar Bananenbären und trank die heiße Schokolade, die Jenna ihm angeboten hatte, doch die Erinnerung an den Nachmittag lastete wie eine schwere feuchte Decke auf ihm, und er beobachtete die Gruppe am Feuer, als sei er, wie Jakey, auf einer anderen Insel. Das Feuer brannte allmählich herunter, und es wurde kühler. Septimus kuschelte sich in seinen Mantel. Er bemühte sich, Lucy Gringes Katzenlaute zu überhören und starrte aufs Meer.

Er konnte es nicht fassen. Beetle und Jenna hatten gerade – und endlich – begriffen, dass auf der Insel etwas Unheilvolles im Gange war, da tauchten Lucy und Wolfsjunge auf und verwandelten die ganze Sache in ein Strandfest. Je länger er darüber nachdachte, desto zorniger wurde er. Statt über Lucys blödsinnige Katzenimitationen zu lachen, sollten sie lieber darüber sprechen, warum die Besatzung der Plünderer die Lichtsphäre gestohlen und auf die Zinne gebracht hatte. Sie sollten versuchen herauszufinden, was Syrah gemeint hatte, als sie von einer Gefahr für die Burg sprach. Und sich fragen, was die Besatzung der Plünderer in diesem Augenblick tat. Er war davon überzeugt, dass dies alles miteinander zusammenhing, aber es war schwierig, allein daraus schlau zu werden. Er musste darüber reden, in Erfahrung bringen, was Lucy und Wolfsjunge wussten. Doch es kam nie etwas dabei heraus, wenn er versuchte, das Gespräch darauf zu lenken. Die anderen alberten nur herum, als seien sie auf einem Tagesausflug zu den Dünen von Portside.

Während Lucy die anderen mit einer Beschreibung von Schoko-Fischköpfen unterhielt, spähte Septimus weiter hinaus in die Dunkelheit. Und dann, als hinter ihm ein mehrstimmiges »Iiiiih!« ertönte, entdeckte er am Horizont die Umrisse eines Schiffs, das unter vollen Segeln lief.

Wolfsjunge und Lucys Geschichte neigte sich dem Ende zu. Jetzt erzählten sie, wie sie sich auf den Weg über die Trittsteine gemacht hatten, um die Leute um Hilfe zu bitten, die Miarr früher am Tag oben auf der Zinne hatte stehen sehen. »Wer hätte gedacht, dass ihr das seid?«, kicherte Lucy.

Die Geschichte war zu Ende, und die Gruppe am Feuer verfiel in Schweigen. Septimus beobachtete, wie das Schiff stetig näher kam.

»Alles in Ordnung, Sep?«, fragte Jenna nach einer Weile.

»Da draußen ist ein Schiff«, antwortete er und deutete aufs Meer. »Seht doch.«

Vier Köpfe fuhren herum, und vier Augenpaare, die in die helle Glut des Feuers geblickt hatten, konnten nichts sehen.

»Sep, du brauchst eine Mütze Schlaf«, sagte Jenna. »Deine Augen spielen dir wieder einen Streich.«

Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Septimus fuhr in die Höhe. »Ihr wollt es einfach nicht kapieren!«, sagte er. »Ihr sitzt da, lacht und macht alberne Geräusche, als ob nichts geschehen wäre. Ihr wollt einfach nicht sehen, was direkt vor euren Augen geschieht.« Ohne ein weiteres Wort stapfte er vom Strand weg, zurück in die Dünen.

»Sep!«, rief Beetle und stand auf, um ihm nachzugehen.

Jenna zog ihn zu sich herunter. »Lass ihn«, sagte sie. »Manchmal muss Sep einfach für sich sein. Morgen früh ist er wieder normal.«

Septimus erreichte die Dünen, und in der Dunkelheit schwand seine Wut. Er blieb eine Weile stehen, halb versucht, zu dem beruhigenden Schein des Feuers am Strand und seinen Freunden zurückzukehren. Aber er hatte heute Abend oft genug klein beigegeben, sein Bedarf war gedeckt. Er beschloss, die höchste Düne zu erklimmen und das Schiff von dort zu beobachten. Er würde beweisen, dass er recht hatte – und wenn auch nur sich selbst.

Er kletterte durch die Dünen nach oben und erreichte bald den festeren Boden der mittleren Landzunge. Er blieb stehen und schöpfte Atem. Es war eine schöne Nacht. Der Himmel war klar, und zahllose Sterne funkelten. Das Meer zog sich sanft zurück, gab Sandbänke frei, die im Mondschein glitzerten, und enthüllte für wenige Stunden ein geheimes Muster alter Straßen. Straßen jenes Volkes, das vor langer Zeit auf der Insel gelebt hatte, bevor das Hochwasser kam und eine große Insel in sieben kleinere teilte.

Septimus hielt nach dem Schiff Ausschau, halb in der Erwartung, er habe es sich nur eingebildet. Aber da war es, viel näher jetzt, und seine weißen Segel leuchteten im Mondlicht. Es steuerte direkt auf die Insel zu. Er wollte gerade zum Strand rennen, um es den anderen zu sagen, als er aus dem Augenwinkel zwischen den Bäumen auf der Hügelkuppe eine Reihe blauer Lichter schimmern sah. Er warf sich zu Boden.

Er wagte kaum zu atmen und beobachtete, im Gras verborgen, die Lichter, doch sie kamen nicht den Hang herunter auf ihn zu, wie er eigentlich erwartet hatte, sondern verharrten exakt an derselben Stelle. Schließlich begriff er, was die Lichter waren – die Reihe kleiner Fenster ganz oben im Kieker. Während er so dalag und sich fragte, was sie zu bedeuten hatten, sah er, wie Nebel zwischen den Bäumen unterhalb des Turms hervorquoll und sich den Hang herunter in Richtung Meer wälzte. Er erschauderte. Die Luft um ihn herum fühlte sich plötzlich kalt an, und der Nebel bewegte sich seltsam zielstrebig, als sei er auf dem Weg zu einer Verabredung.

Septimus stand auf. Plötzlich übten das Lagerfeuer und die Freunde eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Er rannte durch die Dünen zurück. Vor ihm breitete sich der Nebel am Ufer entlang aus und begann, sich aufs Wasser zu wälzen, wobei er immer dichter wurde. Der Strand war bereits in Nebel gehüllt, aber die rötliche Glut des Feuers wies ihm den Weg.

Atemlos kam er am Feuer an. Beetle war gerade damit beschäftigt, Holz nachzulegen.

»Hallo, Sep.« Er grinste vor Erleichterung, Septimus zu sehen. »Wir halten es die ganze Nacht in Gang. Dieser Nebel ist uns nicht geheuer.«

Septimus Heap 05 - Syren
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